Bergisches Musikfest weiht Wuppertaler Prachtbau ein
Von Monika Werner | Westdeutsche Zeitung vom 27. Juni 2025

Klappbild mit den Mitwirkenden des Eröffnungskonzerts der Stadthalle im Jahr 1900. Foto: Stadt Wuppertal
Der Chor der Konzertgesellschaft erinnert an die Eröffnung der Historischen Stadthalle Anfang Juli 1900 mit einem Konzert im September 2025
„125 Jahre Chorsinfonik in der Stadthalle“ soll die Broschüre heißen, die Wolfgang Seidel derzeit erarbeitet. Dafür tief in die Geschichte der Wuppertaler Chor- und Musikgeschichte eintaucht. Der Vorstand des Chors der Konzertgesellschaft studiert Schätze wie einen Band über den Elberfelder Gesangsverein, der Protokolle aus der Zeit 1937 bis 1964 enthält. Er blättert in fein säuberlich mit der Hand beschriebenen Seiten, die von Fotos und Zahlenreihen unterbrochen sind. Bis zum Herbst soll die Geschichte geschrieben sein. Zum Jubiläumskonzert, das ebenfalls vorbereitet sein will. Es soll an das Konzert erinnern, das vom 6. bis 8. Juli 1900, also vor ziemlich genau 125 Jahren, die Historische Stadthalle mit einem großen Musikfest einweihte.
Es gibt die puren Fakten: Die Chöre, die am Anfang standen und sich nacheinander bildeten. Zunächst der Elberfelder Gesangsverein, den der aus Kassel stammende Musiker Johannes Schornstein 1811 gründete, um „dem dringenden Erfordernis nach einem bodenständigen Chor“ nachzukommen (Paul Graeff: „Zur Musikgeschichte Wuppertals im 19. Jahrhundert). 1817 folgte der Städtische Singverein Barmen mit Karl Gotthelf Glaeser. Frauen waren von Anfang an dabei und von der Musik gefordert. 1833 sangen beide Chöre erstmals gemeinsam, auf dem Programm stand Mozarts Requiem. Der erste Generalmusikdirektor Barmens, der dort zugleich Chorleiter war, wurde 1853 Carl Reinecke. Mit ihm kam die Musik von Bach ins Wuppertal. Ab 1861 halfen die Concertgesellschaften in beiden Städten dabei, die Organisation des Musiklebens zu verbessern. Um die instrumentale Begleitung des Gesangs kümmerten sich die Chöre selbst. Sie liehen einzelne Musiker von auswärts. So lange, bis sich 1862 die 18-köpfige Elberfelder Kapelle bildete, aus der viele Jahre später und über mehrere Etappen das Sinfonieorchester erwachsen sollte.
1929 wurden die Städte zu Wuppertal zusammengefügt, drei Jahre später, 1932, fusionierten die Konzertgesellschaften zur Konzertgesellschaft Wuppertal, die heute das Educationprogramm des Sinfonieorchesters und den Chor fördert. Die Chöre ließen sich Zeit. Gemeinsame Auftritte schienen ausreichend, die Konzertprogramme ab 1910 belegen, dass beide Chöre die überwiegende Zahl der Konzerte zusammen bestritten. Die Zusammenlegung 1968 war juristischer Vollzug gelebter Praxis, sie brachte Synergien und war wohl auch dem Sängermangel, vor allem in Barmen, geschuldet, erzählt Seidel. Die
getrennte Vorgeschichte ist heute nicht mehr präsent.
Gesungen wurde anfangs im Elberfelder Casino, an das heute nur noch der nach ihm benannte Kreisel erinnert, und in der Concordia in Barmen. Beide Säle entsprachen freilich nicht den Aufführungs-Erfordernissen großer Werke. 1817 hatte Schornstein mit dem Elberfelder Gesangverein „Haydn’s Schöpfung“ gesungen. Wiege des niederrheinischen Musikfestes, das in den folgenden Jahren mit Musikfreunden aus Düsseldorf und Krefeld fortgeführt wurde. 110 Sängerinnen und Sänger drängten sich auf der Bühne. Bis 1827 traf man sich, dann kam für Elberfeld das Aus. Das durch Sänger aus Köln und Aachen weiter gewachsene Format konnte räumlich nicht bedient werden.
Aufführungs-Erfordernisse großer Werke

Im November 1955 sang der Gesangsverein die Hohe Messe h-Moll von Bach – unter dem Dirigat von Martin Stefani. Foto: 2. Protokollheft des Elberfelder Gesangvereins
Der Prachtbau auf dem Johannisberg, in nur vier Jahren gebaut und von Bürgern und Unternehmen der Stadt vorangetrieben, brachte Elberfeld wieder ins Spiel. Es war eine „Ehrenpflicht, die neuen Räume durch ein Musikfest im grossen Stil einzuweihen. Befreundete hiesige und nachbarliche Chorvereine entsprachen gern der Aufforderung, sich mit dem Elberfelder Gesangverein zu einem Festchor zu vereinigen, der in einer Stärke von über sechshundert Mitwirkenden“ die Historische Stadthalle mit einem dreitägigen Programm eröffnete (Einleitung der Broschüre „Bergisches Musikfest zu Elberfeld am 6.7. u. 8. Juli 1900“).125 Jahre später gedenkt der Wuppertaler Chor der Konzertgesellschaft mit einem Jubiläumskonzert am 14. September des Ereignisses. Logistische Gründe führen zum späteren Termin, der dem Chor eine längere Vorbereitungszeit erlaubt. Schließlich erprobt er sich erst seit ein paar Jahren als Veranstalter. War zuvor vor allem zusammen mit dem Sinfonieorchester im Rahmen seiner Chorkonzerte aufgetreten, weshalb er sich auch als Sinfonieorchesterchor versteht.
Das Programm, das 1900 der musikgeschichtlichen Bedeutung des abgelaufenen Jahrhunderts Rechnung tragen sollte und mit öffentlichen Proben zelebriert wurde, fällt heute anders aus. Früh war Carl Orffs Carmina Burana gesetzt, weil das tolle Werk schon lange auf dem Wunschzettel des Chors stand, so Seidel, Publikumsmagnet und seit 2013 nicht mehr in Wuppertal aufgeführt worden ist. Hinzu kommen zwei Werke für das Sinfonieorchester: der Triumphmarsch Op. 110 von Carl Reinecke sowie „Appalachian Spring für Orchester“ des 1900 geborenen Aaron Copland. Das Orffsche Mammutwerk ist finanziell und organisatorisch eine Herausforderung für den Chor, der Höhepunkt des Jahres und wohl auch der letzten Jahre, überlegt Seidel.
Eine Rekonstruktion der wichtigsten musikalischen Etappen des Chores der Konzertgesellschaft in der Stadthalle ist nur bedingt möglich, zu viele Dokumente gingen im Krieg verloren. Gesichert ist, dass die damals nicht zerstörte Stadthalle früh wieder in Betrieb genommen werden konnte. Bereits zu Karfreitag und weiteren vier Tagen des Jahres 1946 wurde dort die Johannes-Passion mit beiden Chören aufgeführt. „Die Menschen lechzten nach Musik. Etwa 10 000 Menschen strömten insgesamt auf den Johannisberg.“
Die Antwort auf die Frage nach weiteren besonders bedeutenden Konzerten fällt schwer. Seidel betont die eigene Subjektivität seiner Liste. Da war die Uraufführung von Carl Orffs „I Triomphi“ mit beiden Chören (3. Juli 1953). 1957 stemmte der Barmer Singverein Michael Tippetts „Ein Kind unserer Zeit“ in deutscher Erstaufführung. Zum hundertsten Jubiläum der Bayer Philharmoniker und des Sportvereins wurde mit den Philharmonikern unter Leitung von Rainer Koch Beethovens Neunte Sinfonie aufgeführt (12. Oktober 2004). Toshiyuki Kamioka dirigierte das Sinfonieorchester, als Verdis Requiem zum 200. Chorjubiläum und 150. Jubiläum der Konzertgesellschaft gegeben wurde (25. September 2011). Gregor Meyer leitete Chor und Orchester durch die Erstaufführung von Théodore Gouvys Requiem (26. November 2023). Schließlich im letzten Jahr das erste gemeinsame Konzert mit dem Wuppertaler Instrumentalverein unter Leitung von Christof Hilger: Am 10. März stand erneut Verdis Requiem auf dem Programm.
Und heute? Ist der Chor mit 85 Aktiven und dem Potenzial von knapp über 100 Stimmen, darunter mehr als 20 Bässe und 16 Tenöre, der Größte und Älteste in der Stadt. „Die Größe und die ausgeglichenen Stimmen sind sicherlich unsere Stärke“, sagt Seidel nicht ohne Stolz. Nicht zu vergessen die Geschichte, die bereits in zwei Jahren die Möglichkeit zur nächsten Jubiläumsaufführung bietet, wenn sich die Gründung des Barmer Singvereins zum 110. Mal jährt. Zwei Jahre später naht dann schon das hundertjährige Stadtjubiläum, „an dessen Festkonzert wir sehr gerne mitwirken würden“.
Programm des Jubiläumskonzertes am 14. September, 19.15 Uhr:
Carl Reinecke: Triumphmarsch Op. 110
Aaron Copland: Appalachian Spring für Orchester
Carl Orff: Carmina Burana
Mitwirkende: Chor der Konzertgesellschaft, Konzertchor der Mädchenkurrende, Sinfonieorchester Wuppertal,
Sopran: Dorothea Brandt, Tenor: Ulrich Cordes, Bariton: Kay Stiefermann, Leitung: Georg Leisse
Tickets: www.wuppertal-live.de/578805
Bei einer offenen Probe und einem Vorsingen im Juni konnte der Chor weitere interessierte Sängerinnen und Sänger gewinnen. Außerdem wird bereits das Weihnachtskonzert mit dem Sinfonieorchester („Messiah“ auf Englisch) vorgeplant.
