Der Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal überrascht mit Gouvy
Von Günter Schultz | Westdeutsche Zeitung vom 28. November 2023
Wuppertal. Mit „Requiem aeternam“ setzte der Chor auf das Werk eines fast vergessenen Komponisten – die Rechnung ging auf.
„Requiem aeternam“ war das 1. Chorkonzert mit dem „Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal“ überschrieben, das am Totensonntag im großen Saal der Historischen Stadthalle aufgeführt wurde. Und man kann es nicht anders ausdrücken: Es gab eine sensationelle Überraschung. Das „Requiem op. 70“ für Vier Solisten, Chor und Orchester von Louis Théodore Gouvy (1818-1898), ein einstündiges Oratorienwerk mit großem Chor (etwa 70 Mitglieder), großem Orchester und vier beeindruckenden Solisten (Veronika Seghers, Sopran, Sylvia Rena Ziegler, Mezzosopran, Uwe Stickert, Tenor, und Thomas Laske, Bariton) wurde wiederentdeckt und erfolgreich aufgeführt.
Gouvy ist ein weitgehend unbekannter, man kann sagen, vergessener Komponist, im Saarland aufgewachsen zu einer Zeit, als das Gebiet mal preußisch, mal französisch war. Gouvy selber entstammte einer industriellen, aus Belgien zugewanderten Familie, die Stahl produzierte. Er entschied sich gegen den Willen seines Vaters, Musik zu studieren, was ihm aber in den wichtigen jungen Jahren nicht möglich war, weil er ohne französische Staatsbürgerschaft nicht in Paris studieren durfte. Er suchte sich zunächst in Paris Privatlehrer und begegnete dort auch Chopin und Berlioz. Seine zweite Sinfonie brachte ihm 1848 in Paris und 1849 in Leipzig erste Anerkennung.
1874 komponierte er das hier aufgeführte „Reqiem op.70“ (gewidmet seiner sechs Jahre zuvor verstorbenen Mutter), ein tiefreligiöses Werk, stilistisch stark an Mendelssohn-Bartholdy angelehnt, reich an romantischen Klängen und in lateinischer Sprache. Man kann vermuten, dass dieses grandiose Chorwerk eine Wuppertaler Erstaufführung ist, denn nicht nur hier, sondern in ganz Europa wurde Gouvy vergessen. Vielleicht liegt der Grund darin, dass er weder als Deutscher noch als Franzose eine künstlerische Lobby hatte, die ihn hätte fördern können.
Die zentrale Aussage im Finale empfindsam herausgearbeitet
Seine Musik war die Entdeckung des Abends, ein großangelegtes Chorwerk, mit einem stets präsenten, stimmlich professionell ausgebildeten Konzertchor (Einstudierung Georg Leisse), dem es gelang, mit seinen 70 Stimmen sowohl innige, stimmungsvolle Klänge als auch kraftvoll triumphierenden Gesang darzustellen. Eindrucksvoll unterstützt wurde er vom Sinfonieorchester Wuppertal. Klanglich zu einer kompakten Einheit verschmolzen, glänzte der großartige, mit einer Vielzahl an klangfarblichen Nuancen und Gefühlswelten ausgestattete Klangkörper. Der innige Bittgesang, die andachtsvolle Grundstimmung, das verzweifelte Klagelied, der aufbrausende Widerstand (am Tag der Rache) und der beseelte Friedensgesang (Dona nobis pacem): all diese differenzierten Herausforderungen wurden vom Gastdirigenten, dem Leipziger Gewandhauschor-Dirigenten Gregor Meyer, der die Gesamtleitung dieser Erstaufführung innehatte, zu einer beeindruckenden Interpretation zusammengeführt.
Die Gesangssolisten fügten sich hervorragend in das Gesamtbild ein: Mit klangvollem Timbre gelang der Mezzosopranistin ein stimmungsvoller Gesang, die Partien der Sopranistin waren sehr klar und instrumental angelegt, der Tenor bestach durch eine schlanke und strahlende Tongebung und der Bass durch warme, kraftvolle Tiefe. Der weitgehend homophone Chorsatz beeindruckte durch harmonische Geschlossenheit und im polyphonen Fugato des „Hosianna“ durch Transparenz und Präzision. Die zentrale Aussage im Finale (die ewige Ruhe = Requiem), wurde sehr sensibel und empfindsam herausgearbeitet. Friede und Andacht passten zum Totensonntag, und wurden mit viel Applaus belohnt.
Eingeleitet wurde der Abend mit dem Chorwerk „Psalm 42 ,Wie der Hirsch schreit‘ op.42“ von Felix Mendeslssohn-Bartholdy. Eine passende Vorbereitung auf das Gouvy-Werk, denn stilistisch ähnelt der Psalm dem Requiem. Beide Komponisten begegneten sich an diesem Abend musikalisch auf Augenhöhe, beide überzeugten mit ihren sakralen Kompositionen gleichermaßen. Die chorische Leistung mit einem hinzugefügten Männerquartett-Gesang, sowie das strahlende, Zuversicht und Lebenshoffnung verkündende Chor-/Orchester-Finale tat ein Übriges. Emotional bewegend, ernst und hoffnungsvoll erntete der „Psalm 42“ ebenso großen Applaus.