L’enfance du Christ in der Stadthalle
Von Lilo Ingenlath-Gegic | Westdeutsche Zeitung vom 27. Dezember 2024
Berührendes Oratorium am Weihnachtstag
Am frühen Abend des ersten Weihnachtstages erklang in der Historischen Stadthalle eine selten aufgeführte musikalische Weihnachtsgeschichte: „L’enfance du Christ“ von Hector Berlioz. Zum 2. Chorkonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal kamen weniger Besucher als bei bekannteren Weihnachtsoratorien in den Vorjahren, dennoch war das Konzert recht gut besucht.
Das romantische dreiteilige Werk beginnt nach Jesu Geburt und erzählt von König Herodes, von der Flucht der Heiligen Familie und ihrer Ankunft in Ägypten. In der festlichen Atmosphäre der Historischen Stadthalle befanden sich 75 Sängerinnen und Sänger des Chors der Konzertgesellschaft Wuppertal und 65 Mitglieder des Sinfonieorchesters auf der Bühne und präsentierten unter der Leitung von Johannes Witt eines der beliebtesten Werke des französischen Komponisten Hector Berlioz (1803-1869) mit zarten, poetischen Farben und Melodien. Mit sanften Klängen begleitet das Orchester Dimitry Ivanchey, der den Erzähler mit klangschönem Tenor, aber leider wenig textverständlich singt.
Das Sinfonieorchester spielt farbenreich und transparent zarte Klänge aus der Tiefe ferner Sphären – es könnte die Ouvertüre zu einer Berlioz-Oper sein. Im ersten Teil der Trilogie spielt Herodes die wichtigste Rolle. Im Neuen Testament trachtet der jüdische König dem neugeborenen Jesuskind nach dem Leben. Er singt vom „Kind, das mich vom Throne stürzt“ und sieht seine eigene Herrschaft bedroht.
Eric Rousi verkörpert den nachdenklichen König
Den großen Monolog des Herodes meistert Eric Rousi vom Ensemble der Oper Wuppertal tadellos. Mit tiefem warmen Bass verkörpert er einen angstvollen, aber auch nachdenklichen König. Dramatisch und kraftvoll erklingt der Dialog zwischen ihm und seinem Wächter Polydorus (Nikola Diskić). Die tiefen Männerstimmen des Chors raten Herodes zu vielfachem Säuglingsmord. Dramatik und Spannung nehmen zu, Bläser und tiefe Streicher treiben das Geschehen voran, bis Fanfaren oben von der Galerie die Szene beenden.
Von lieblichen Klängen begleitet blickt man in der nächsten Szene in den Stall von Bethlehem. Iris Marie Sojer verkörpert die Maria mit warm timbriertem Mezzosopran und großer Intensität. Nikola Diskić gestaltet den Joseph klangstark und textverständlich mit baritonaler Strahlkraft. Eingeleitet von feinen Akkorden und überraschenden Orgeltönen (Tobias Deutschmann) fordern die Engel Maria und Joseph auf, sich auf die Flucht zu begeben. Mit einem klangschönem Chor der Engel endet der erste Teil.
Überraschend folgt die Pause, die – geplant und dem Programmheft zu entnehmen – nach dem zweiten Teil folgen sollte. Dirigent Johannes Witt hatte kurzfristig anders entschieden. Der zweite Teil – „Die Flucht nach Ägypten“ – ist die Keimzelle des Oratoriums. Ein Choral stand ursprünglich am Anfang von Berlioz’ weihnachtlichem Werk. Er begeisterte das Publikum bei der Uraufführung 1850 so sehr, dass Berlioz weitere Kompositionen ergänzte, bis schließlich seine „Trilogie sacrée“ entstand, die 1854 endgültig Gestalt annahm.
Den Chor hat Berlioz dabei nicht allzu oft eingesetzt. In ihren Partien zeigen sich die Damen und Herren des Chores vom Chorleiter Georg Leisse gut vorbereitet und präsentieren als Engel, weise Ratgeber und Hirten einen farbigen, schönen Chorklang. Sanft und filigran beginnt das Sinfonieorchester das vielstimmige Vorspiel, bei dem sich Berlioz hörbar vom Kompositionsstil alter Meister inspirieren ließ.
Ein besonders schönes viersätziges Trio im dritten Teil wirkt wie ein „Werk im Werk“: Die Heilige Familie kommt am Ende ihrer Flucht nach Ägypten erschöpft in der Stadt Saïs an, wo niemand sie aufnehmen will. Ein ismaelitischer Hausvater – Erik Rousi von tiefster Basslage bis hin zu lyrischen Klängen – öffnet ihnen freundlich seine Tür und die Gäste bekommen von Flöten und Harfe ein Ständchen dargeboten. Bei dieser wundervollen, orientalisch angehauchten Hirtenmusik herrscht andächtige Stille im Publikum.
Das fast achtminütige zauberhafte Spiel von Manuela Randlinger (Harfe), Leonie Wolters und Udo Mertens erreicht die Herzen der Besucher und bekommt spontanen Szenenapplaus. Das sanfte, berührende und völlig kitschfreie Oratorium endet mit einem himmlischen Schlusschor, der Zuversicht verströmt und zart wie ein Hauch verklingt. Es folgt großer, langanhaltender Applaus für Orchester, Solisten, Dirigent, Chor und Chorleiter.